Montag, 14. Mai 2007

Departed


Nach Jahren hat Martin Scorsese mal wieder einen Gangsterfilm gedreht. Allein das ist Grund genug, ins Kino zu gehen. Schön, dass ihm ein besonders guter gelungen ist. Im Kern geht es um zwei Polizisten, die in Boston versuchen, ihr Leben zu meistern. Der eine, gespielt von Matt Damon, wurde von einem irischen Gangster großgezogen und arbeitet nun als dessen Spitzel bei der Polizei. Der andere, gespielt von Leonardo DiCaprio, versucht sich gegen die Vergangenheit seiner kriminellen Familie zu wehren, indem er undercover eben diesen Gangster ausspioniert. Der Gangster schließlich ist das Zentrum des Films. Er will kein Produkt seiner Umwelt sein, er will, dass sich die Umwelt ihm anpasst. Er ist Frank Costello,gespielt von Jack Nicholson. Während alle Figuren des Films realistisch bis ins letzte Detail spielen, hebt sich Nicholson völlig ab. Seine Mischung aus arrogantem Lebemann und Psychopathen lässt Costello unberechenbar und frischerscheinen. Er hat Spaß in diesem Film und scheint damit der einzige zu sein. Die bis in die Nebenrollen herausragend besetzten Figuren kennen nur den Schmerzder Welt. Die Handlung ist komplex und intelligent ineinander verwoben, kann aber letztlich doch so beschrieben werden: Guter Cop arbeitet undercover und versucht seine Werte nicht zu verraten, böser Cop hat seine Werte längst verloren und versucht das Beste draus zu machen. In einem Scorsese-Film bedeutet das: Überleben. „Godfellas“ und Casino zelebrieren Gewalt bis an die Schmerzgrenze des Publikums. The Departed zeigt Gewalt ohne aufgesetzt zu wirken. Sie ist Teil des täglichen Lebens dieser Männer, nichts daran ist besonders oder poetisch. Vielleicht ist das eine der wenigen Schwächen des Films. Er scheint fast zu geradlinig, nimmt sich kaum Pausen zur Reflektion. Einzig die Momente mit der Psychologin Madolyn (Vera Farmiga) lassen etwas Luft zum atmen. Sie versucht in der Männerwelt zurechtzukommen und gibt Damon und DiCaprio zugleich die wohlverdienten Momente der Ruhe. Denn werden die beiden nicht gerade von Nicholson getrieben, dann müssen sie immer noch mit Alec Baldwin, Mark Wahlberg, Martin Sheen und Ray Winstonefertig werden, die aus ihren Nebenrollen soviel rausholen, wie andere Darstelleres bei Hauptrollen nicht einmal können. Tatsächlich hätte jeder, der an diesem Film gearbeitet hat, einen Oscar verdient, angefangen bei den Darstellern, bis zum Rest der Crew. Allein wegen deren perfekter Arbeit sollte man sich The Departed ansehen.„Ja!“ Eine andere Antwort auf die Frage, ob man den neuen Scorsese-Film angucken sollte, gibt es nicht. Um auf einen der besten Filme dieses Jahres hinzuweisen, scheint es angebracht noch eine weitere Meinung dazu abzugeben. Da die Handlung bereits beschrieben ist, sollen hier noch einige Eindrücke der Vorstellung wiedergeben werden. Der Film beginnt, „Gimme Shelter“ von den Rolling Stones erklingt. Harmonisch arrangierte Bilder Bostons werden gezeigt, wunderschöne Einstellungen, zum Beispiel aus dunklen Häusern, auf vorbeifahrende Autos. Dann tritt Jack Nicholson langsam aus dem Schatten und der Zuschauer weiß sofort, was Sache ist. Hier wird der Bad-Guy eingeführt. Jeder Schnitt, jede Blende erscheint genauestens platziert. Musikvideoästhetik mit einer unwahrscheinlich coolen Leichtigkeit entsteht und zieht den Zuschauer in seinen Bann, während Jack in die Handlung eingeführt wird. Und dies zieht sich durch den gesamten Film. Großartige Bilder, kombiniert mit absolut passender Musik.Nachdem alle Protagonisten vorgestellt sind, folgt der Zuschauer wie gebannt der sich immer mehr zuspitzenden Handlung. Er gerät beinahe selbst in Atemnot, wenn er zusieht, wie dem Spitzel DiCaprio (die Identifikationsfigur für das Publikum) die Luft zunehmend dünner wird und er nahe am Verzweifeln ist, während er immer tiefer in den Sog von Costellos Bande gerät. Beinahe unnötig zu erwähnen scheint es, dass Jack Nicholson grandios ist. Er kann viel mehr, das weiß man bereits, doch man freut sich, ihn endlich wieder einmal in der Rolle des Bösewichts zu sehen. Und dieser ist überaus brutal, ja von psychopathischer Weltsicht. Er möchte nicht das Produkt einer Gesellschaft sein, sondern zieht es vor, die Gesellschaft zu seinem Produkt zu machen, mit allen Mitteln. Das macht ihn gefährlich. Zu den schauspielerischen Leistungen des gesamten Ensembles könnte man stundenlang referieren. Die Quintessenz ist, dass man sich kaum entscheiden kann, wem man den Nebenrollen-Oscar mehr wünscht. Da sind einerseits Martin Sheen und Mark Wahlberg, die grandios guter-Cop-böser-Cop mit DiCaprio spielen. Andererseits mimt Alec Baldwin den verschwitzten, kollerischen, stets nervösen Polizeichef so überzeugend, dass man sich über jeden noch so kleinen Auftritt freut. Und dann ist da noch Vera Farmiga! Sie spielt, ihre Rolle als Psychiaterin so zurückgenommen, sanft und federleicht, dass man sich wünscht, sie würde demnächst in hunderten neuen Filmen zu sehen sein.Auch wenn sich die Handlung des Filmes auf eine einfache Formel herunter brechen lässt, ist es die Art, wie Scorsese diese inszeniert, das Sehenswerte. Dramatisch, mit vielen Wendungen und im Wechselspiel zwischen den beiden Spitzeln entsteht ein kribbelndes Spannungsfeld. Auch wenn in „The Departed“ kein Gangster im Tobsuchtsanfall mit Telefonhören Gesichter zertrümmert, macht es Spaß, die fiesen irischen Mobster zu sehen. Ihre Akzente tragen einen großen Teil der Raubeinigkeit der Charaktere mit sich, eine ungewohnte aber sehr atmosphärische Note.Während „Casino“ Gewaltszenen en Masse zelebriert, hält sich Scorsese in seinem neuen Werk eher zurück. Hier ist es vor allem die psychologische Ebene, die die Spannung erzeugt. Wenn es dann aber zu Auseinandersetzungen kommt, sind diese gewohnt rau und mit der nötigen Härte in Szene gesetzt.„The Departed“ sticht weit über das Mittelmaß vieler Filme des Jahres heraus. Ein kleiner Wehmutstropfen fließt allerdings am Ende des Films. Ein weniger spektakulärer hätte es schon sein können. Aber im Zuge der sehr realistischen Darstellungen ist es vielleicht gerade besonders gelungen, das Ende verhalten zu gestalten.

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